Gastkommentar von Peter Plaikner*
18 Tage vor dem ersten Wahltermin zur Bundespräsidentschaft wirkt der Wettbewerb so offen wie nie zuvor ein Rennen um das höchste Amt im Staat. Professionelle Beobachter von der Meinungsforschung über den Journalismus bis zur Politikwissenschaft trauen fünf der sechs Kandidaten den Aufstieg in das entscheidende Stechen am 25. Mai zu. Nur über Eines herrscht noch mehr Einigkeit – dass es zu dieser zweiten Runde kommen wird.
Schon die gestaffelten Startansagen von Mitte Dezember bis Ende Jänner haben dabei eine weitere Premiere für die Zweite Republik bewirkt: SPÖ und ÖVP sind die Getriebenen. Wenn sie es nun Monate nach der Offenbarung ihrer Kandidaten immer noch sind, liegt das weniger an der mangelnden Strahlkraft von Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol als an der Krise der staatsbegründenden Volksparteien. Bei jeder früheren Wahl hätten sie entweder den ehemaligen Gewerkschaftschef und Sozialminister oder den einstigen Klubobmann und Nationalratspräsidenten in die Hofburg befördert. Doch nicht nur die schwindenden Mitgliederzahlen schwächen die Mobilisierungskraft dieser Gesinnungsgemeinschaften, die nach Kopfzahl immer noch zu den stärksten des Kontinents zählen. Eher hemmen inhaltliche Orientierungslosigkeit und konzeptionelle Beliebigkeit die Kampagnefähigkeit der beiden Zentrumsparteien. Weiter rechts wie links fällt zumindest die scheinbare Prinzipientreue leichter. Freiheitliche und Grüne sind klarer positioniert als Sozial- und Christdemokraten. Dazu kommt noch ein negatives Momentum, das letztlich alle Regierenden Europas in Wahlniederlagen schlittern lässt: Keiner hat eine schlüssige Antwort auf die Flüchtlingsfrage. Sie überschattet auch die Kür des nächsten österreichischen Staatsoberhaupts.
Vor diesem Hintergrund verstärkt sich deutlich der längst latente gesellschaftliche Trend nach rechts. Jene Parteien, die nicht ohnehin dort verortet sind, vollziehen ihn zumindest kommunikativ nach. Der offiziell unabhängige, aber als früherer Bundessprecher klar grün punzierte Kandidat Alexander van der Bellen (72) lässt sich vor „Heimat“, sein roter Kontrahent Hundstorfer (64) mit „Sicherheit“ plakatieren. Beide Begriffe sind alles andere als links besetzt: Also wird auch der blaue Hofburg-Anwärter Norbert Hofer (45) mit „Heimat“ affichiert und ist beim schwarzen Mitbewerber Khol (74) „Österreich“ das wichtigste Wort neben der zweifelsohne vorhandenen „Erfahrung“. Das wiederum gilt beides auch für Irmgard Griss (69), die wie van der Bellen von NEOS unterstützte unabhängige Aspirantin. Abgesehen von Hofer, inklusive dem selbst deklarierten Kasperl Richard Lugner (83) sind die Möchte-Gern-Präsidenten durchschnittlich 73 Jahre alt.
Klischees über diese Generation zerstören aber nicht nur die Berater ihrer aktuell präsentesten Vertreter. Im Gegensatz zum Junior von der FPÖ haben die fünf rüstigen Senioren ihre Kampagnen durchwegs mit einem Video auf YouTube gestartet. Das ist kein bloßes Signal an die Jugend, denn laut soeben veröffentlichter Media-Analyse surfen bereits 30 Prozent der über 70-jährigen Österreicher täglich im Internet. Folgerichtig erntet die Social-Media-Performance der Kandidaten mehr Aufmerksamkeit als die verzweifelt zum Ereignis hochstilisierte Sammlung von Unterstützungserklärungen. Dies ist Österreichs erster Online-Wahlkampf um die Hofburg. Doch seine wichtigste Arena bleibt das Fernsehen. Mehr denn je. Zumindest inhaltlich fordert Privat-TV durchaus den öffentlich-rechtlichen Massenmagneten. Wo der ORF mit der „Wahlfahrt“ auflockert, gibt ATV mit „Klartext“ kontra und kontert Puls 4 mit „Eignungstests“ als Antwort auf die Kurzduelle beim medialen Platzhirschen. Sogar das Privileg der Elefantenrunde hat er nicht mehr exklusiv.
In dieser Gemengelage verwundert es höchstens, dass es noch als überraschend gilt, wenn zum Auftakt des Fernseh-Schaulaufens logischerweise jene Kandidaten am meisten punkten, die zuvor am wenigsten bekannt waren. Norbert Hofer und Irmgard Griss sind jedenfalls mindestens so TV-tauglich wie das televisionär erfahrenere Quartett der Mitbewerber. Dies wiederum sollte dafür sorgen, dass sich das Feld noch weiter zusammen schiebt, als es die Meinungsforscher ohnehin seit Wochen wähnen. Mit geringen Nachteilen für van der Bellen – dem vielleicht schon zu lange favorisierten Außenseiter, der des Ganzen mitunter bereits müde wirkt. Mit leichten Vorteilen für Hofer – dem die persönliche Unterschätzung ebenso nutzt wie der Rückenwind für seine Partei. Ohne eine solche im Rücken ist Griss die wahre Überraschung, weil sie noch nicht aus dem Rennen scheint, während Hundstorfer wie Khol um den Aufstieg bangen müssen. Dieser aus ihrer Sicht größte anzunehmende Unfall würde einerseits Sozialdemokratie und/oder Volkspartei in eine existenzielle Krise stürzen und ließe andererseits jeden fliegenden Koalitionswechsel in der Bundesregierung möglich erscheinen.
Entsprechend apokalyptisch wirken die Fragestellungen und Themensetzungen dieses Wahlkampfes. Abgesehen von der Flüchtlingsfrage mit all ihren Begleiterscheinungen geht es vor allem darum, wer welchen Kanzler nicht angeloben oder die Regierung abberufen würde. Das liegt der dann tatsächlichen Funktionsausübung zwar so nahe wie Richard Lugner dem Wahlsieg, hat aber immerhin schon Heinz Fischer alarmiert. Der Noch-Amtsträger in der Hofburg warnt vor „Allmachtsphantasien“. Denn ein guter Bundespräsident weiß vor allem eines ganz genau – wie selten er das letzte Wort hat.
*Peter Plaikner ist Medienberater, Politikanalyist und Lehrgangsmanager für politische Kommunikation an der Donau-Universität Krems.